Nukleartechnik

Claudia Nelgen

Als 1945 über den japanischen Städten Nagasaki und Hiroshima zwei einzelne Atombomben verschiedener Machart (‚Uranbombe‘ und ‚Plutoniumbombe‘) gezündet wurden, war der Geist der nuklearen Sprengkraft aus der Flasche entlassen. Erst nach diesen Abwürfen mit ihren sowohl katastrophalen als auch physikalisch überzeugenden Folgen begann die eigentliche Forschung an der zivilen Nutzbarmachung der Atomkraft.

Heute wissen wir, dass Kernenergie und Kernwaffenproduktion die siamesischen Zwillinge jener Macht sind, die im Atomkern steckt. Im Erfolgsstreben der Nationen bedient der Zwilling dabei zwei überaus wichtige, wenn nicht sogar entscheidende Anliegen: erstens die Versorgung eines Landes mit der kostbaren Ware Energie, und zweitens die mit jenen Stoffen, woraus sich Atombomben herstellen lassen, nämlich waffenfähiges Plutonium und hochangereichertes Uran.

Energie in Mengen zu besitzen ist die beste Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes – entweder, um als Industriestaat Produktion und Infrastruktur aufrechtzuerhalten, oder um als Lieferant den Rohstoff zur Energiegewinnung verkaufen zu können. Die wirklich reichen Staaten auf dem Planeten gehören daher zwangsläufig einer dieser beiden Kategorien an, und selten beiden.  Im Bestreben der energiehungrigen Industriestaaten, sich soweit wie möglich unabhängig zu machen von den Lieferanten fossiler Brennstoffe und eventuell sogar selbst Stromexporteur zu sein, spielt die Atomenergie daher eine überaus gewichtige Rolle.

Ebenso verhält es sich mit der Möglichkeit, mittels eines zivil genutzten Atomkraftwerks waffenfähiges Plutonium zu gewinnen und so – zumindest potentiell und mit dem entsprechenden Knowhow – zum atomwaffenführenden Staat zu werden. Im Gerangel der Staaten um Führung, Einfluss, Unabhängigkeit und marktwirtschaftlichen Erfolg sowie um die Aufrechterhaltung militärischer Drohposen ist dies von nicht unerheblicher Bedeutung, wie wir in besorgniserregender Weise im aktuellen Ukrainekrieg wieder einmal erfahren.

Die schiere Existenz von Kernwaffen ist indessen eine der bizzarsten Auswüchse des Strebens nach Herrschaft und Beherrschung der Weltlage. Die Aufrechterhaltung ‚eines nuklearen Gleichgewichts‘ oder ‚Verteidigung‘ als Begründung der Herstellung und Lagerung von Atombomben anzuführen ist schon insofern irrational, als es allein der potentielle Einsatz ist, der zählt. Zudem besteht die Gefahr, dass dieser Einsatz auch unabsichtlich erfolgen kann. 

Wichtig ist, hier noch anzumerken, dass sowohl bei der zivilen als auch der militärischen Nutzung der Kernkraft stets der jeweilige Staat der Auftraggeber ist, und nicht die üblichen Profiteure, die sonst hinter der Produktion von für Natur und Mensch gefährlichen Stoffen stecken. In gewisser Weise liegt hier also ein marktwirtschaftlicher Sonderfall vor: der Staat behält sich die Hoheitsrechte vor, auch wenn die Betreiber der Kernkraftwerke ihrem Geschäft als auf dem Strommarkt Konkurrierende nachgehen dürfen. Die Verflechtungen zwischen dem Staat als Regulator einerseits und dem Betreiber eines Atomkraftwerkes als marktwirtschaftlich Agierendem andererseits haben im Fall des havarierten Fukushima-Atomkraftwerks indessen zu erheblichen Problemen geführt, da klare Zuordnungen von Verantwortlichkeit und Handlungszuständigkeiten fehlten.

Diese Problematik, von der nicht allein Japan betroffen ist, herrscht auch betreffs der noch immer ungelösten Frage nach der Endlagerung vor allem des hochradioaktiven Atommülls. ‚Endlager‘ ist hierbei ein Euphemismus, denn einen endgültigen Standort für die über hunderttausende von Jahren hochgefährlichen Abfälle gibt es nicht – ihre Lagerung kann aufgrund geologischer, geothermischer und geotektonischer Voraussetzungen immer nur einstweilige sein. Hierbei handelt es sich also um eine Aufgabe, die hunderte von Generationen noch zu bewältigen haben, während der bisherige Abfall im Zuge des kurzfristigen Nutzens von nur drei Generationen produziert wurde.

Die Nachteile des aus der Flasche entlassenen Geistes der Kernenergie dürften bei rationaler Betrachtung in keinem Verhältnis zu seinen Vorteilen stehen. Daran ändert auch nichts die Salonfähigkeit, die ihr im Zusammenhang mit der Erderwärmung und der dafür verantwortlich gemachten fossilen Energieträger bzw. deren Verbrennung neuerdings wieder zugesprochen werden.

Es steht zu befürchten, dass einzig die oben ausgeführten Interessen der Aufrechterhaltung eines Mittels dienen, dessen unmittelbare Zerstörungskraft alles überbietet, was bisher vom Menschen geschaffen wurde.