Rolf Linn
Warum brauchen wir ein anderes Wirtschaftssystem?

Die neoklassische Wirtschaftstheorie verfolgt das Ziel der Nutzenmaximierung aller. Dieses Ziel ist viel zu einseitig und es impliziert „mehr ist besser“. Für ein gutes Leben ist aber eine ganze Reihe anderer Kriterien wichtig: Erfüllung der Grundbedürfnisse, gute Beziehungen zu anderen Menschen, lebenswerte Umwelt und anderes.

Auch die Annahme des „homo oeconomicus“ als rational und egoistisch handelnder Marktteilnehmer ist falsch: Dass die Menschen nicht nur rational handeln, wissen alle Werbefachleute. Außerdem bleibt der Egoismus der meisten Menschen nicht auf der narzisstischen Entwicklungsstufe eines dreijährigen Kleinkindes stehen.

Siehe hierzu auch: From Neoclassical Economics to Common Good Economics.

Ein Wirtschaftssystem, das zu einem guten Leben für alle führt

Oberstes Ziel der Unternehmen im jetzigen System ist es, mit dem investierten Geld eine möglichst große Rendite zu erzielen, d.h. aus Geld mehr Geld zu machen. Dabei spielen die Bedürfnisse der Menschen nur eine untergeordnete Rolle. Geld ist zum Selbstzweck geworden. Das müssen wir ändern: Das gute Leben für alle (oder das Gemeinwohl) muss an erster Stelle stehen, Geld darf nur Mittel zu diesem Zweck sein.

Die Gemeinwohl-Ökonomie

erstrebt einen Wandel zu einer ethischen Marktwirtschaft. Dazu schlägt sie vor, dass Unternehmen, Gemeinden und Bildungseinrichtungen zusätzlich zur Finanz-Bilanz eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen. 

In einem Gemeinwohl-Bericht sind die Beiträge zum Gemeinwohl in Bezug auf die fünf Berührgruppen Lieferanten, Eigentümer und Finanz-Partner, Mitarbeiter, Kunden sowie gesellschaftliches Umfeld zu beschreiben und zu bewerten, siehe auch unter Gemeinwohl-Matrix. Maßstab sind die Werte Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung. Dieser Gemeinwohl-Bericht muss von einem externen Auditor geprüft und testiert werden.

Das Ergebnis der Gemeinwohl-Bilanz könnte mit Steuervorteilen oder Vorteilen bei öffentlichem Einkauf verbunden werden und damit Anreize für Gemeinwohl-orientiertes Verhalten geschaffen werden.

Damit das gute Leben für alle (oder das Gemeinwohl) an erster Stelle steht und Geld nur Mittel zu diesem Zweck ist, hat die Gemeinwohl-Ökonomie weiterhin das Konzept der Souveränen Demokratie entwickelt, was bedeutet, dass das letzte Wort in demokratischen Entscheidungen bei der höchsten Instanz – dem Souverän – liegen soll: bei den Bürgerinnen und Bürgern. Das Finanzkasino sollte geschlossen und Ungleichheiten bei Einkommen, Vermögen und Macht in maßvollen Grenzen gehalten werden

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist weder das beste aller Wirtschaftsmodelle noch das Ende der Geschichte, nur ein nächster möglicher Schritt in die Zukunft. Sie ist ein partizipativer und entwicklungsoffener Prozess, und sucht Synergien mit ähnlichen Ansätzen.

Die Bewegung für die Gemeinwohl-Ökonomie (germany.ecogood.org) gibt es seit 2010 mit inzwischen 171 Regionalgruppen in 35 Ländern. Mehr als 500 Unternehmen verfügen über eine auditierte Gemeinwohl-Bilanz.